Von Rüdiger Mohrstedt
Rudi Meister plant und organisiert seit über 20 Jahren Wanderfahrten in Deutschland und Europa; „Rudi’s Ruder-Reisen“, abgekürzt „RRR“, sind hierfür ein Synonym. Seine Planung war und ist immer perfekt, sowohl hinsichtlich Routen, Kartenmaterial, Zeiten, Unterkunft als auch Mannschaftseinteilung. Rudergefährten sind bzw. waren meist: H.-D. Gerdum, P. Lipphardt, W. Reukauf, K.-H. Saur, R. Mohrstedt, We. Kretschmer, G. Leben und früher Manfred Striegel sel. sowie Dr. Volker Freudenberg sel. Eine besondere Vorliebe hegt er für die französischen Gewässer. Die Planung für 2011 steht bereits: Befahrung der SAÔNE, von Scey sur Saône bis Lyon. Als Dank für die uns gegenüber geleisteten wertvollen Arbeiten schenken wir ihm und uns allen diesen Bericht einer vor 12 Jahren (1999) durchgeführten Ruderreise.
Charante und Sèvre Niortaise
1. Die Charante: von Angoulême nach Rochefort
Nach Angoulême gelangt man mit einem kleinen Umweg über Chartres: Die Kathedrale aus dem 11. bis 13. Jahrhundert, UNESCO Weltkulturerbe, zog uns magisch an. Unser Crew-Historiker erklärte uns die grandiose Fassade, die besondere kunsthistorische Bedeutung der Basilika, ihre bedeutenden frühgotischen Kirchenfenster. In Angoulême, dem antiken Iculisma, erreichten wir die Charante, Heimat des Cognac. Die friedliche Charante, oft als malerischster Fluss Frankreichs bezeichnet und sicherlich eines der schönsten Ruder-Reviere Europas, bescherte uns 170 schiffbare Kilometer nach Rochefort, an ihrer Mündung in den Atlantik. Sie entspringt im Limousin und durchfließt zwischen Angoulême und Rochefort gemächlich die überwiegend ländlichen Gegenden mit Schlössern, Burgen und alten Mühlen. Weinberge und idyllische Marktflecken sowie Kleinstädte wie Jarnac, Cognac, Saintes prägen die Region. Wir kamen nicht umhin, deren Spitzenprodukte, Cognac und Pineau, eingehender Qualitätsprüfungen zu unterziehen.
In den meisten von der Charante und der Sèvre durchflossenen Ortschaften gibt es gute Anlegemöglichkeiten, so dass es für die Boots- und Busbesatzungen dieses Mal kein Problem war, einander zum Déjeuner zu treffen. Von der Bevölkerung wurden wir überall freundlich begrüßt, z.B. von den Bewohnern des ehemaligen Schleusenwärter-Häuschens von Jarnac, die uns in ihrem Garten mit „ahle Worscht á la française“ und dem unverzichtbaren Pineau örtlicher Provenienz bewirteten.
Derart Erbauliches entgeht dem Autotouristen. Als Wasserwanderer haben wir eben das Privileg, Siedlungen an den Flüssen „vom Fluss her“, also meist dort zu entdecken, wo sie gegründet wurden, und dadurch leichter Zugang zu ihrer Geschichte zu finden. Noch ein Wort zu den Schleusen der Charante: Im Lande der individuellen Freiheit und der variantenreichen Improvisation kamen auch unsere vier erfahrenen Ingenieure aus dem Staunen über kreative Technik nicht heraus: 21 Schleusen – 21 verschiedene Systeme. Von „Euronorm“ und Beton, wie wir sie im Vorjahr bei den Schleusen der Rhône erlebt hatten, glücklicher Weise keine Spur.
Wir passierten Saintes. Welche Bedeutung die Industriestadt als Mediolanum Santonum bereits in römischer Zeit hatte, zeigt die Größe ihres eindrucksvollen Amphitheaters, das 20.000 Personen Platz bietet, und in dem noch heute Opern aufgeführt werden. Das Ufer der Charante wird hier vom 2000 Jahre alten Triumphbogen des Germanicus beherrscht.
Die letzten 30 km der Charante sind gezeitenabhängig und zeigen bei Niedrigwasser das unerfreuliche Bild der in den Fluss abgekippten Relikte der Wegwerfgesellschaft. Allerdings half uns das mit hoher Geschwindigkeit ablaufende Wasser, diese Strecke schnell hinter uns zu bringen. Es folgte die Besichtigung von Rochefort, das von Colbert zur Zeit Louis XIV als Kriegshafen angelegt wurde und (leider bei Ebbe per Bus) der Île d’Oléron, deren wichtigster Erwerbszweig die Austernzucht ist. Juni … falsche Jahreszeit!
2. Auf Sèvre Niortaise: von Niort nach La Rochelle
Nachdem unsere ursprüngliche Absicht, die der Charante vorgelagerte Île d’Oléron zu umrudern und La Rochelle von See aus anzusteuern, nicht realisiert werden konnte, weil bei dem Ruderklub, der uns eine dazu erforderliche Seegig zugesagt hatte, niemand aufzutreiben war, zog Rudi, seit Jahrzehnten Frankreich-erfahren und entsprechend vorbereitet, „Plan B“ aus dem Ärmel: Eine exzellente Alternative, nur wenige Kilometer nördlich. Nach kurzem Landtransport setzten wir die „Kurhessen“ in der „Base nautique“ von Niort in die Sèvre Niortaise ein. Wunderschöne, verträumte Landschaft beiderseits des schmalen Flüsschens. Die hohen Bäume auf den Uferböschungen, Silberpappeln und Eichen, mit ihren über uns zusammen fließenden Kronen, wirkten wie ein lang gestreckter Dom. Sonnendurchflutet. Nach wenigen Flussmeilen die Schleuse von La Roussille. Beeindruckende Atmosphäre: Das restaurierte Schleusenhaus, umgewandelt in die „Auberge de La Roussille“. Im Schatten hoher Platanen und Kastanien, Blumenrabatten bis an den Rand des Schleusenbeckens, gepflegte Wege in den Park des nahen Herrenhauses. Sicherlich eine der schönsten Schleusenanlagen Frankreichs. Wir wussten, dass wir den Ort für unseren Abschiedsabend gefunden hatten.
Die Auflagen für das Befahren der Sèvre sind streng: Ankern in der Fahrrinne: „interdit“. Maximale Geschwindigkeit: 12 km/h. Daran haben wir uns strikt gehalten. Die Sèvre ist von Niort aus etwa 70 Kilometer bis zur Bucht von Aiguillon, wo sie nördlich von La Rochelle in den Atlantik mündet, ruderbar. Da ihre letzten 15 kanalisierten Kilometer uninteressant sind, haben wir uns auf die Strecke bis Marans beschränkt, die weitgehend durch das Naturschutzgebiet des „Marais Poitevin“ führt, ein dem Spreewald vergleichbares Gebiet, das von flachen, gestakten Booten befahren wird. Früher zum Transport landwirtschaftlicher Produkte, heute von Touristen. Wir genossen die Abgeschiedenheit des ländlichen „douce France“ als strengen Kontrast zur im Vorjahr erlebten kanalisierten Rhône mit ihren gewaltigen Einheitsschleusen, ihrer technisierten Landschaft mit Autobahnen, TGV und Kernkraftwerken, deren Kühltürme die Weinberge viele Kilometer weit dominieren.
In La Rochelle, nicht nur traditionsreicher Kriegshafen, sondern auch einer der malerischsten Orte an der französischen Atlantikküste, folgten wir Rudi auf den Pfaden seiner Jugend in französischer Gefangenschaft. Die im frühen Mittelalter unter englischerHerrschaft zu einem bedeutenden Hafen ausgebaute Forteresse war währendder Reformationszeit Zufluchtsort für Protestanten und Calvinisten und nach der Bartholomäusnacht eine der Hauptfestungen der Hugenotten. Später bedeutender Auswanderungshafen nach Amerika, im Zweiten Weltkrieg deutsche U-Boot-Basis. Trotz des erforderlichen Umwegs blieb das Votum „Auberge de la Roussille“ für unseren Abschiedsabend einstimmig. Vor der Kulisse des Herrenhauses im morbiden Charme seines Parks, unter südlichem Himmel und mächtigen Platanen, über Seerosen, die das Ufer der Sèvre säumten, wurden wir verwöhnt wie Könige. Vive la cuisine française!
Mit Friedrich Hölderlin, der diese Landschaft als die lieblichste und idyllischste Frankreichs besungen hat, erinnern sich ihrer gern: Rudi Meister als Reiseleiter, Hanns-Dieter Gerdum, Werner Kretschmer, Peter Lipphardt, Wolfgang Reukauf, Karl-Heinz Saur, und der Chronist, Rüdiger Mohrstedt.