Auf der Oder bei Hochwasser flussabwärts von Frankfurt

Wanderfahrt „Die Oder und Umgebung“ 14. – 22. 8. 2010


Die Oder von Ratzdorf bis Hohenstaaten – Alte Oder – Schiffshebewerk Niederfinow – Oder-Havel-Kanal – Werbellinkanal – Werbellinsee – Finowkanal.
Auf der Oder bei Hochwasser flussabwärts von Frankfurt

Auf der Oder bei Hochwasser flussabwärts von Frankfurt

14. August: Zunächst mussten wir erst einmal an den deutsch-polnischen Grenzfluss gelangen. Bei strömendem Regen ging es am Auedamm los, bis Magdeburg zügig. Dann wurde es mühsam: Die A10 war wegen eines Tanklastwagen-Unfalls ganztägig gesperrt, so dass wir unser Tagesziel erst mit 90 km Umleitung und mehrstündiger Verspätung erreichten. Spätabends lagerten wir die „Kurhessen“ am Ratzdorfer Ufer der Oder, in unmittelbarer Nähe der Einmündung der Neiße. Übernachtung in Frankfurt.

15. August: Regen. Wie an allen Tagen dieser Reise; aber nur einmal während des Ruderns.
Wir ließen die „Kurhessen“ neben dem Ratzdorfer Pegel, der wegen des zunächst auch für die Oder befürchteten Hochwassers in diesen Tagen in aller Munde war, zu Wasser. Eine dafür halbwegs geeignete Stelle konnten wir jedoch nur mit Mühe finden, wie es auch auf fast der gesamten Oder-Strecke aufgrund der die Ufer weitläufig säumenden Feuchtgebiete kaum möglich war, trockenen Fußes an Land zu kommen – abgesehen von wenigen befestigten Anlagen wie in Frankfurt und Küstrin.
Am Einsetzplatz unseres Bootes unterhalb der Mündung der Neiße konnte man das Ausmaß der Überschwemmung an ihrem Oberlauf erahnen: In diesen Tagen floss sie nicht auf gleichem Niveau in die Oder, sondern sie ergoss sich, einem Wasserfall gleich, in hohem Schwall in diese und sorgte so für deren Beschleunigung.
Der übliche mittägliche Crew-Wechsel – fünf Mann im Boot, zwei im Bus – fiel an diesem Tag aus. Der Landdienst fand keinen Weg durch das Deich-Vorland an den Fluss. Bei angenehm sonnigem Ruderwetter und einem Vortrieb von gut 12 kmh über Grund nahm es die Crew jedoch gelassen und war früh an dem für den Abend vorgesehenen Ziel: Frankfurter RC. Von menschlichen Aktivitäten hat die Bootsbesatzung an diesem Tag kaum mehr gesehen als die Silhouette und Schornsteine des ehem. Stahlkombinats „Eisenhüttenstadt“, jetzt im Besitz des indischen Stahlmagnaten Mittal. Derweilen bewunderte der Landdienst die beindruckenden Deckenmalereien, Skulpturen und Gemälde des im 17. Jahrhundert frühbarock umgestalteten Zisterzienserklosters Neuzelle und dessen vorzügliches Klosterbräu.
16. August: Landschaftlich ähnliche Bilder wie am Vortag. Schneller Fluss. Die Auwälder gelegentlich unterbrochen von großflächigen hügeligen Wiesen, auf denen weiße Silage-Rollen in großer Zahl verstreut lagen. Auf den Deichen alle 200 Meter ein Pfosten in Nationalfarben: westlich der Oder schwarz-rot-gold, östlich weiß-rot. Die Deiche selbst wurden nach dem Hochwasser von 1997 in weiten Strecken erneuert und erhöht; an vielen Stellen waren jedoch noch umfangreiche Deichbau-Arbeiten im Gange. Ansonsten: Natur. Kaum ein Zeichen menschlichen Wirkens. Außer der „Kurhessen“ kein Boot oder Schiff auf dem großen Strom. Der Nachmittag gehörte Frankfurt: Dem schönen Maßwerkgiebel des spätgotischen Rathauses und der Bewunderung der Marienkirche, der fünfschiffigen, größten Hallenkirche der norddeutschen Backsteingotik. Ihre berühmten, nach dem zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion ‚ausgeliehenen‘ Kirchenfenster wurden kürzlich zurückgegeben und wieder in die Apsis eingesetzt.
17. August: Oder und Umfeld wie gehabt. Vorbei an Küstrin. Bei Hohenstaaten Abzweig nach Westen in die Alte Oder und damit Verlassen des zuletzt quasi kanalisierten Stroms. Der Fluss wurde alsbald lieblicher, und, flußaufwärts rudernd, hatte die Kilometer-Fresserei ein Ende. Schon von weitem grüßte uns die hoch aufragende Stahl-Konstruktion des Schiffshebewerks Niederfinow, das uns zwei Stunden später von der Alten Oder 36 Meter hoch auf das Niveau des Oder-Havel-Kanals hievte. Dieses um 1930 gebaute, eindrucksvolle und damals weltgrößte Schiffshebewerk besichtigten wir auf dem Rückweg. Die „Kurhessen“ vertäuten wir in einem nahen Stichkanal an den Resten der verfallenen Treppenschleuse des alten Finowkanals, dessen Ursprung in den Anfang des 17. Jahrhunderts zurückreicht.
Hier Bild 3: „Finowkanal“
18. August: Heftiger Regen und Gegenwind machten die ohnehin ziemlich langweiligen 25 Kilometer auf dem nüchtern-breiten Oder-Havel-Kanal zu einer Tortur für die Bootsbesatzung, die sich danach in der Marina von Marienwerder bei dann wieder prächtigem Wetter erholen konnte. Die anschließende Fahrt auf dem alten idyllischen Werbellinkanal, durch Auwälder, mit Seerosen bewachsenen Teichen in den Werbellinsee – lt. Theodor Fontane „der schönste See der Mark Brandenburg“ – sorgte für einen versöhnlichen Tagesausklang.
19. August: Drei-Kanäle-Tag: Zurück durch den schmalen, sich durch die kleinen Seen schlängelnden Werbellinkanal, dessen Ufer kaum befestigt sind, und über den sich die Kronen hoher Bäume Dom-ähnlich schließen. Ein paar Kilometer auf der unwirtlichen Oder-Havel-Verbindung mit ihrer kommerziellen Groß-Schifffahrt zwischen Berlin und der Ostsee. Dann auf den Resten des historischen Finowkanals mit seinen handbetriebenen Schleusen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Seinerzeit eine bedeutende Wasserstraße, nach dem Bau des parallel verlaufenden Oder-Havel-Kanals vernachlässigt, nach der (Wieder-)Vereinigung umfangreich saniert. Ein Wanderruder-Paradies in üppiger Natur. Am Nachmittag Besichtigung des ehemaligen Zisterzienserklosters Chorin, dessen Urzelle in der Mitte des 13. Jahrhunderts lag. Trotz teilweiser Zerstörung der dreischiffigen Klosterkirche ein einzigartiges Bauwerk der norddeutschen Backsteingotik. Seine prachtvolle Westfassade überstrahlt das weitläufige Gelände und lädt zu zahlreichen Veranstaltungen, z.B. des „Choriner Musiksommers“, ein. Während einer Kloster-Führung entdeckten wir, dass am Nachmittag unseres letzten Rudertags ein Trompetenkonzert in der Klosterkirche stattfinden sollte. Die Entscheidung gegen Rudern fällt zwar immer schwer; aber in diesem Fall war sie einstimmig: Diese Gelegenheit wollten wir uns nicht entgehen lassen; und so erwarben wir die letzten noch verfügbaren Konzertkarten.
20. August: Noch einmal genossen wir ein paar Ruder-Kilometer in der beschaulichen Ruhe des Tinowkanals, kurbelten an etlichen Schleusentoren und legten die „Kurhessen“ in Eberswalde an Land. Als wir vor der dortigen gotischen Maria-Magdalenen-Kirche versuchten, die Inschriften auf der vor ihrem Portal stehenden mächtigen Freiheitsglocke zu entziffern, half uns dabei ein junger Mann, der sich später als der zuständige „Pfarrer, Küster und Mädchen für Alles“ zu erkennen gab. Es folgte eine bemerkenswerte Führung durch die Kirche mit ihrem Jahrhunderte alten Altar und Taufbecken, und durch ihre Geschichte, in der sie dank standhafter Gemeinde alle Anfechtungen aus Kriegen und Politik schadlos überstanden hat.
21. August: Besichtigung des Schiffshebewerks Niederfinow. Ein Technikmonument erster Güte ist die gigantische Maschinerie, mit deren Hilfe Schiffe den Höhenunterschied zwischen Oder und Havel bei Niederfinow in einem einzigen Schleusengang überwinden. Dabei hebt bzw. senkt ein elektrisch angetriebener Super-Lift einen Schleusen-ähnlichen Stahltrog samt Schiff(en), Ladung und Wassermassen im Gesamtgewicht von fast 5.000 Tonnen in wenigen Minuten um 36 Meter. Eine technische Meisterleistung für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Als Zugabe hatten wir bei bester Sicht aus 60 Meter Höhe einen prächtigen Rundblick über Hügel und Seen Brandenburgs. Neben diesem Stahlgiganten entsteht z.Zt. das futuristisch anmutende „Neue Schiffshebewerk Niederfinow“: Betonklotz. Doppelte Kapazität.
Nachmittag: Klosterkirche Chorin: Acht Trompeten, Pauken und Basso continuo.
Händel: „Feuerwerksmusik“ und „Wassermusik”. Jeremiah Clarke: „Suite of Ayres for the Theatre“ und „The Prince of Denmark’s March“. Grandios.
22. August: Rückfahrt wie Hinfahrt: Regen und Staus. Doch nach dieser eindrucksvollen Reise beeinträchtigte das weder die Stimmung unseres Kommandanten, Rudi Meister, noch die seiner Crew: Hanns-Dieter Gerdum, Gerd Leben, Peter Lipphardt, Wolfgang Reukauf, Karl-Heinz Saur und Rüdiger Mohrstedt als Verfasser dieses Artikels.