„Rudern bei Sonnenschein – für alle ein Gewinn!“
Ende August 2013 richtete der Ruderverein Kurhessen-Cassel 1890/1911 e.V. für den Hessischen Ruderverband eine Wochenwanderfahrt auf der Weser aus. An dieser Fahrt nahmen 17 Teilnehmer aus Kassel, Darmstadt, Frankfurt und Rüsselsheim teil. Von Hann. Münden bis Hoya waren insgesamt knapp 300 Kilometer auf dem Wasser zurück zu legen. Da die Weser über eine gute Strömung verfügt, wurden den Teilnehmern auch Tagesetappen von bis zu 70 Kilometern abverlangt. Die Ruderinnen und Ruderer trafen sich in Kassel, wo die Boote verladen und zum Startpunkt Hann. Münden gebracht wurden. Bei dieser Tour übernachteten wir in der Regel in Bootshäusern oder in Hotels. Einzig in Stolzenau gab es ein gemeinsames Quartier. Wir hatten dort Logis im Haus der Nationen, eine – wie sich herausstellte – empfehlenswerte Adresse.
Die Fahrtenleitung hatte sich vorgenommen, dass bei dieser Tour neben dem Sport in der Natur auch die Geselligkeit und die Kultur nicht zu kurz kommen sollten. Für den kulturellen Teil übernahm Dagmar Wendrich-Moritzen die Verantwortung. Sie organisierte u.a. einen Zwischenstopp am Kloster Bursfelde, wo wir die Wandgemälde aus dem 11. Jahrhundert betrachteten. Als ein Glückfall erwies sich hier wieder einmal die Teilnahme von Karl-Heinz Saur, der aus seinem umfangreichen geschichtlichen Wissen interessante Neuigkeiten zum Objekt und zu dessen geschichtlichen Bedeutung beisteuern konnte. Zur Mittagsrast legten wir an dem öffentlichen Steg hinter der Straßenbrücke in Bad Karlshafen an. Zum Picknick gab es Wurst, Käse, Obst, Joghurt und Getränke. Die erste Tagesetappe endete in Höxter.
Auf dem weiteren Weg in Richtung Holzminden kamen wir am Kloster Corvey vorbei. Auch hier wollten wir einen Zwischenstopp einlegen. Da der öffentliche Steg, der sich hier einmal befand, nicht mehr existierte, fuhren die drei Vierer weiter. Die im Mittelalter als einflussreiches geistiges und politisches Zentrum bekannte Reichsabtei konnten wir daher nicht besichtigen. Der Landdienst wartete an dieser Stelle vergeblich auf „seine“ Jungs und Mädels. An diesem Tag endete die Tour in Bodenwerder bei Flusskilometer 111, dem Heimatort von Lügenbaron Münchhausen und Aschenputtel. Quartier nahmen wir im 20 Kilometer entfernten Hameln. Am Abend schlenderten wir durch die dortige Altstadt. Sehr empfehlenswert in der Rattenfängerstadt ist ein Frühstück im Bootshaus des WSV Weser Hameln.
Am dritten Tag dieser Tour ruderten wir relativ wenig. Die Fahrtenleitung hatte für den Nachmittag eine Stadtführung geordert. Nach nur 23 Kilometer legten wir wieder an. Po und Hände, die sich vereinzelt durch Blasen oder Druckstellen bemerkbar machten, dankten für die kurze Zeit auf dem Rollsitz. Unsere Tour durch Hameln gestaltete eine Ruderkameradin aus Hameln kurzweilig und interessant. Für einige Teilnehmer sicherlich neu waren die Deutungen zur Rattenfängersage. Basiert der Kinderzug auf der seinerzeit von Niederdeutschland ausgehenden Ostkolonisation? Waren die „Kinder von Hameln“ tatsächlich Jung-Bürger, die von adligen Territorialherren oder Lokatoren im 13. Jahrhundert zum Siedeln im Osten angeworben wurden? Mit netten Gesprächen unter einem Baum im Innenhof des Pfannkuchenhauses klang dieser milde Augustabend aus.
Die Schleusung in Hameln verlief reibungslos. Wir hatten keine langen Wartezeiten. Dies war auch gut, denn immerhin wollten wir heute bis nach Minden rudern. Das waren 70 Kilometer. Pausiert wurde in Rinteln. Auch an diesem Tag begegneten uns kaum Boote. Die Weser ist auf ihren ersten 200 Kilometern ein Eldorado für Freizeitkapitäne. Kurios war auf dieser Etappe der Abstand zwischen den Flusskilometersteinen 171 und 172. Der alte DRV-Wanderruderführer meint, hier sei der kürzeste Flusskilometer. Die aktuellen Infos des DRV sprechen vom längsten Kilometer. Als die Weser vermessen wurde, begann man in Hann. Münden und Bremen gleichzeitig mit den Arbeiten. Als beide Vermessungstrupps zusammentrafen, stellte sich heraus, dass die Strecke zwischen den beiden zuletzt gesetzten Kilometertafeln 1,6 statt 1 Km lang war. Man behalf sich dadurch, dass man am linken Ufer über 1000 m hinaus alle 100 m eine Buchstabentafel zur Markierung (A-F) setzte. Bei Flusskilometer 198 durchbricht die Weser die Jura-Schichtstufe des Wiehengebirges. Der Fluss tritt in die Norddeutsche Tiefebene ein. Kaiser-Wilhelm-I blickt hier von seinem Denkmal aus ins flache Land. Beim Ruderverein Minden endete diese lange, anstrengende Etappe. Für eine Tour durch die Stadt Minden hatten wir keine Zeit, denn schließlich mussten wir heute noch zu unserem Quartier nach Stolzenau reisen.
Ab Minden wurden die Tagesetappen wieder kürzer. Improvisation ist auf Rudertouren manchmal angesagt. Der Steg des Rudervereins Stolzenau war zwar noch begehbar, der Wasserstand der Weser machte aber eine Einfahrt in den Schutzhafen und somit ein Anlanden bei den Ruderern unmöglich. Daher legten wir beim Kanuverein Stolzenau an. Zuvor hatten wir jedoch ein Problem mit der Schifffahrtsverwaltung zu lösen: Über das Schleusentelefon wurde uns zunächst mitgeteilt, dass Ruderer in Schlüsselburg die Bootsrutsche zu passieren haben. Dort angekommen lasen wir auf der Hinweistafel, dass die Rutsche nur mit Booten zu passieren ist, die schmaler als 1,20 Meter sind. Unsere dicke Chasalla sprengte jedoch dieses Maß. Wir parkten daher im Oberwasser der Bootsrutsche rückwärts aus und fuhren zur Bootsschleuse. Die Fahrtenleitung informierte die Schifffahrtsverwaltung über das Schleusenservicetelefon in Minden, dass wir die Bootsrutsche nicht passieren konnten. Daraufhin erhielten wir die Erlaubnis zur Nutzung der Schleusen. Jetzt nach Minden nutzten auch einige Frachtschiffe die Weser. An diesem Tag verkürzten wir die Tour. Die letzten beiden Kilometer bis zur Schleuse Landesbergen verschoben wir auf den nächsten Tag.
Ohne allzu lange Wartezeit passierten wir am letzten Rudertag die Schleusen Landesbergen und Drakenburg. Die drei Vierer fanden hinter der Berufsschifffahrt noch ein Plätzchen in den jeweiligen Schleusenkammern. Für den Landdienst gestaltete sich die Anfahrt zum Ruderverein in Nienburg besonders schwierig. Dort wird ein neues Schwimmbad gebaut. Der Weg zum Ruderverein, der ohnehin immer eng ist, war für Gespanne unpassierbar. Zum Glück fanden Dagmar und Stephan einen freien Parkplatz, wo sie den Hänger abstellten. Hier endete für einen Vierer die Fahrt, zwei Vierer fuhren weiter bis zum Ruderverein Hoya. Bei Flusskilometer 298,8 hieß es dann „Ruder halt, Wende über Steuerbord, anlegen, Boote reinigen und verladen“. Da alle mit anfassten, waren die Ausleger rasch abgeschraubt und die Boote ruckzuck vom Dreck gereinigt.
Als wir am nächsten Tag wieder in Kassel ankamen, legten wir die Boote und das Zubehör wieder in die Hallen. Nach einer Stärkung im Restaurant Bootshaus löste sich das Ruderteam wieder auf. Ein Dank ging an die Rudergesellschaft Kassel 1927, die uns ihr Boot „Leine“ zur Verfügung stellten und an den Casseler-Frauen-Ruderverein, von dem wir einen Kleinbus mieteten. Ein besonders Lob erhielten – nicht nur von mir – Dagmar und Fritz-Ludwig Moritzen. Mit beiden leitete ich diese Fahrt. Es war für mich ein sehr angenehmes Teamwork. Zum Erfolg dieser gemeinsamen Ruderwoche haben ganz besonders die lieben Ruderkameradinnen und Ruderkameraden beigetragen, die stets präsent waren, wenn es galt mit anzupacken. Alle setzten sich für ihre Mitfahrer ein. „Mit Euch macht es Freude auf Reisen zu gehen!“
Euer Fahrtenleiter Stephan Gerlach