Von Helmut Eberhardt
In einem Leitartikel der Zeitschrift „Rudersport“ aus den 70er Jahren wurde die Frage gestellt, ob der Leistungssport im Verein als Verpflichtung oder als Zumutung für die Vereinsgemeinschaft anzusehen ist. Ich selbst habe in einem „Schurri“-Artikel, der dann auch Leitartikel im „Rudersport“ wurde, deutlich gemacht, dass die Frage, ob ein Verein Rudern in Training und Wettkampf ermöglicht, nicht einfach vom grünen Tisch aus mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden sollte. Denn die Antwort ist grundsätzlich von dem „Wie?“ abhängig, also von den Bedingungen und dem Verhältnis dieses Aktivitätsbereichs einer Sportgemeinschaft zu den anderen Betätigungsfeldern, die sicher zumindest der gleichen Aufmerksamkeit und Zuwendung bedürfen. In dem Zeitraum, in dem ich den Bereich Rennrudern in unserem Verein aktiv begleiten und mitgestalten durfte, um dann interessierter Beobachter zu werden, haben sich Rahmenbedingungen deutlich geändert, die vielfältigen Einfluss auf das Vereinsleben allgemein und natürlich auch auf den Leistungssportbereich ausüben. Blicken wir also im Folgenden besonders auf die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit dieser Bereich nicht als Zumutung für die Vereinsgemeinschaft angesehen wird, sondern für die Wettkampfruderer und die anderen Vereinsmitglieder von einer reinen Verpflichtung zu einem lohnenden Betätigungsfeld werden kann.
Training und Wettkampf können auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein. Die Sportwissenschaft unterscheidet Grundlagentraining, Aufbautraining, Anschlusstraining und Hochleistungstraining, also eine Spanne vom Kinderrudern bis zur internationalen Spitzenleistung. Basis für die internationale Spitzenleistung, die in der Regel nicht mehr von einem Verein allein ermöglicht werden kann, ist und bleibt die Vereinsarbeit in der Ruderausbildung und im Grundlagen- und Aufbautraining. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass in vielen Vereinen 2. Wettkampfebene, Handicaprudern und Masters-Rudern deutlich an Raum und Bedeutung gewonnen haben. Für alle Bereiche gilt jedoch, dass jede sportliche Betätigung, die darauf abzielt, im Vergleich mit anderen, also im Wettkampf, den Sieg zu erringen, grundsätzlich vom Prinzip der ständigen systematischen Optimierung aller für eine bestimmte Leistung konstitutiven Faktoren ausgehen muss.
Das Streben zum Sieg muss dort seine Grenze finden, wo die Gefahr der körperlichen oder psychischen Schädigung für den einzelnen anfängt oder der Aufwand für eine Minorität die Gemeinschaft so belastet, dass andere wesentliche Aspekte des Sporttreibens zwangsläufig vernachlässigt werden müssen. Solange es aber junge Menschen gibt, die aus unterschiedlichen Gründen ein auf Leistungssteigerung, evtl. auch bis zur Spitzenleistung, hinzielendes Training absolvieren wollen, solange sollte das Angebot eines Vereins sich auch auf diese Mitglieder einstellen. Es ist jedoch die Pflicht aller und auf allen Ebenen am Sport Beteiligten, sicherzustellen, dass Sport seine primären Ziele wie z.B. Freude, Spiel, Geselligkeit, Gesunderhaltung oder Rehabilitation, zu denen der Sieg um jeden Preis nicht gehört, nicht aus den Augen verliert.
Notwendige Voraussetzung für einen kontinuierlich erfolgreichen und zumutbaren Trainings- und Wettkampfbetrieb ist eine vollständige Integration dieses Bereiches in die Sportplanung des Vereins. Davon betroffen sind organisatorische, materielle und personelle Entscheidungen. Ein hohes Maß an Kooperation der für den allgemeinen Sport- und Ruderbetrieb (incl. Ausbildung) Verantwortlichen mit der Trainingsleitung ist unerlässlich. Die Aktiven müssen sportärztlich und möglichst auch physiotherapeutisch betreut und bei Bedarf schulisch bzw. beruflich unterstützt werden, damit ihnen aus ihrem Training mit deutlich gestiegenem Aufwand keine Nachteile erwachsen. Vorstandsaufgabe ist die Bereitstellung von Räumlichkeiten und Material sowie die Organisation der Wartung und Reparatur von Booten, Zubehör, Einrichtungen und Geräten.
Eine zentrale Rolle spielt selbstverständlich nach wie vor die Trainingsleitung. In den letzten Jahren haben sich auch hier grundlegende Veränderungen eingestellt. War früher der ehrenamtliche Vereinstrainer die Regel, so sind heute immer weniger Vereinskameraden bereit und in der Lage, die Betreuung der Aktiven unter diesen Voraussetzungen zu übernehmen. Einerseits ist der zeitliche Aufwand, den eine Trainertätigkeit erfordert, sehr hoch, zum anderen ist die veränderte Auffassung vom Ehrenamt in unserer Gesellschaft nicht zu leugnen. Auch im Vereinsbereich macht sich eine Art Dienstleistungsmentalität breit.
Das Verhältnis von eigenem Aufwand zu eigenem Nutzen, besonders auf materieller Ebene, wird immer mehr Grundlage der Mitgliedschaft und Mitarbeit in Vereinen. Das erklärt unter anderem auch die relativ hohe Fluktuation bei den Vereins- und auch bei den Vorstandsmitgliedern. Damit ein Trainer die Betreuung der Athleten im alltäglichen Training und auf Regatten bewältigen kann, sollte er von organisatorischen und das Material betreffenden Aufgaben, die auch von anderen Vereinsmitgliedern übernommen werden können, weitgehend befreit werden. Hierzu zählt besonders die außerruderische Vorbereitung und Durchführung von Regatten: u.a. Meldungen, Quartiere, Boots- und Mannschaftstransport, Abrechnungen, Berichte für Zeitungen, Statistiken.
Ein erfolgreicher Trainer muss fundierte sportwissenschaftliche Kenntnisse, praktische Erfahrungen in der Sportart, Organisationstalent, Kooperationsbereitschaft und nicht zuletzt hohes pädagogisches Können und Geschick mitbringen. Denn neben der Leistungssteigerung im individuell möglichen Rahmen sollten Fairness, Teamgeist und Vereinsidentifikation wesentliche Ziele sein. Es muss dem Leistungssportler klar sein oder klargemacht werden, dass seine Förderung der Gemeinschaft eine hohe Anstrengung abverlangt, die nur durch eine Art Generationenvertrag ermöglicht wird. Nach Beendigung der Wettkampfkarriere sind also Erfahrungen und aktive Mitarbeit der ehemaligen Rennleute gefragt, und durch eine langjährige Mitgliedschaft im Verein wird materiell und finanziell sichergestellt, dass die nachkommenden Wettkampfruderer
ihren Sport auf hohem Niveau ausüben können.
Die Trainer und Betreuer müssen neben den oben genannten Voraussetzungen dem vom DSB und den Sportverbänden aufgestellten Ehrenkodex uneingeschränkt verpflichtet sein, und dies besonders im Kinder- und Jugendbereich. Nur dann wird ein Vorstand es verantworten können, und nur dann kann man von den Erziehungsberechtigten erwarten, junge Sportler der Betreuung anzuvertrauen.
Ich bin der Überzeugung, dass der Leistungssport eine wesentliche Säule des Vereinslebens ist und bleiben wird. Er kann in hohem Maße zur Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung junger Menschen beitragen. Außerdem ist es möglich, die dort gewonnenen Erfahrungen auf andere Lebensbereiche zu übertragen, der gesellschaftliche Wert ist also nicht unerheblich. Rudern als Mannschaftssport kann hier einen bedeutenden Beitrag leisten, denn in kaum einer Sportart hat der Begriff Mannschaft im Sinne von Einsatz, Harmonie, Verlässlichkeit einen höheren Stellenwert. Das geflügelte Wort „in einem Boot sitzen“ mit all seinen mitschwingenden Bedeutungsnuancen unterstreicht dies augenfällig.